Biermann: “Berlin zottelt an meinem Herzen”
INTERVIEW
Der Ehrenbürger Wolf Biermann über alte Kader, neue Linke und (k)ein Paradies auf Erden
Der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann ist seit 14 Tagen Ehrenbürger von Berlin. Im Interview erzählt er von der Heimkehr und warum er heute kein Kommunist mehr sein kann.
Mit Wolf Biermann sprach Renate Oschlies. Berliner Zeitung, 10.04.2007
Herr Biermann, haben Sie schon einen Maler bestellt?
Einen Maler?
Ja.
Sie meinen Leute, die Bilder malen oder solche, die Wände bemalen? Oder den Terroristenanwalt und Neu-Nazi Mahler?
Den Porträtmaler, der Sie als neuen Berliner Ehrenbürger verewigen soll.
Das war das erste, was ich gemacht habe, als ich hörte, dass ich vier Privilegien kriege: Ich darf umsonst mit der Bahn fahren. Zweitens, ich kriege das Amtsblatt, kos-ten-los, das heißt, ich weiß vor allen anderen, ob die Hundesteuer erhöht wird in Berlin. Das ist natürlich ein Privileg, das mir in Hamburg nicht so viel nützt. Das dritte ist, ich werde billig beerdigt, spare unheimlich viel Geld, das wir nach meiner Beerdigung verprassen können. Nachteil: Ich vermute, dass ich dann nicht mehr dabei sein werde, aber das weiß man nie so genau. Das vierte Privileg ist unvermischte Freude: Ich darf einen Maler aussuchen, der mich malt. Und da es natürlich seit der Erfindung der Fotografie keinen Maler mehr gibt, der Porträts malen kann, gibt es nur ein einziges Auswahlprinzip: Wer ist mir von all den Malern der beste Maler? Und das ist mein Freund Jürgen Böttcher, der berühmte Dokumentarfilmregisseur, der sich als Maler Strawalde nennt.
Weiß der schon von seinem Glück?
Ich hab ihm das schon angedroht. Mit Todesverachtung sagte ich ihm bereits am Telefon, du kannst malen, wie du willst, es gilt die Freiheit der Kunst, Hauptsache, ich sehe nicht aus, wie deine Frau Dopsi von Picasso gemalt. Diese kleine Einschränkung musste ich machen. Es bleibt ihm nun nichts walter ulbricht, er wird mich malen müssen. Aus Freundschaft. Ich sehe dem gefasst entgegen.
Herr Wowereit wirkte ja auch sehr gefasst bei der Ehrenbürgerverleihung.
Ja, ich finde, er hat seinen Job gut gemacht. Bis auf den kleinen Fehler in seiner Rede, mich hätte Margot Honecker in die DDR geholt – das stimmt nicht! – war seine Rede okay. Ich fand auch seine Introduktion, die er improvisiert hat, prima. Die Peinlichkeit der Situation musste deutlich zur Erscheinung kommen. Peinlich heißt ja auf Deutsch: schmerzhaft. Und natürlich war es schmerzhaft für ihn, dass er die Lobrede halten musste auf einen Mann, den er partout nicht haben wollte als Ehrenbürger.
Sie nannten die Koalition der SPD mit der PDS-Linken noch kurz vor der Verleihung der Ehrenbürgerschaft ,verbrecherisch’.
Na ja, verbrecherisch war natürlich ‘ne Verharmlosung. Es ist schlimmer als ein Verbrechen, nach meiner Meinung, dass die demokratische Partei SPD sich mit den Erben der Nomenklatura ins Bett der Macht legt in der Hauptstadt Deutschlands. Das fand ich schon immer politisch obszön, das habe ich in Prosa und auch in Gedichten gelegentlich gesagt. Und nur weil ich jetzt ‘ne Ehrenbürgerschaft überreicht kriege, die ja nicht von dieser rot-roten Regierung verliehen wird, sondern von den Abgeordneten des Berliner Parlaments, kann ich meine Meinung ja nicht ändern. Wobei schon das Wort Rot-Rot mir im Munde wehtut wie ein Zahnschmerz. Denn die SPD ist nicht rot, sondern rosa, immer gewesen, und die PDS ist schwarz, reaktionär.
Gilt diese Schwarzeinschätzung auch für die neue Linke, die sich da jetzt bildet mit Oskar Lafontaine?
Die ist ja noch schlimmer.
Mit denen haben Sie als ehemaliger Kommunist nichts im Sinn?
Lafontaine ist ja eine Verschlimmerung des Schlimmen. Emotional, unter uns gesagt, sind mir die Erben der Nomenklatura näher. Das sind meine vertrauten, treuen alten Feinde. Diese neuen Linken sind ja nicht links, sie sind reaktionär, im Politischen wie auch im Sozialen. Und in der Außenpolitik. Das, finde ich, ist zu viel. Aber für das Gesamtsystem, in dem wir leben, ist das nun – zum Glück – keine existenzielle Bedrohung.
Was ist links, was ist rechts?
Die Worte links und rechts haben ihre Bedeutung im Politischen verloren – im Geschichtsprozess, nicht durch Worte. Das waren die Wegmarkierungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Unabhängig von solchen historischen Veränderungen gibt es das, was Heinrich Heine in seinem berühmten Gedicht “Enfant perdu” den “Freiheitskrieg der Menschheit” nennt. Der ist so alt wie die Menschheit, wie die Hoffnung auf Lösung der sozialen Frage: Keine Ausbeutung mehr, Paradies auf Erden. Keine Unterdrückung mehr, keine Heuchelei also.
Wer soll sich um solch ein Himmelreich auf Erden kümmern?
Ich weiß nur eines: Eine Idylle, in der der Löwe Gras frisst, in der es keine Unterdrückung, keine Ungerechtigkeit, keine Ausbeutung gibt, wird es niemals geben. Früher, vor 30 Jahren, hätte ich das bedauert. Heute lache ich darüber und sage: zum Glück. Denn auch ein neuer, vielleicht etwas besserer Versuch, Heines Himmelreich oder dieses kommunistische Paradies auf die Erde zu zwingen, würde uns nur in mehr Ausbeutung, mehr Unterdrückung, zu mehr Massenmorden führen, als es jemals gegeben hat. Und das will ich nicht. Und deshalb kann ich heute auch kein Kommunist mehr sein. Doch ich sehe mich schon als “tapferer Soldat im Freiheitskrieg der Menschheit” – allerdings mit dem Holzschwert mit den sechs klingenden Saiten in der Hand.
Meinen Sie, dass die Verbrechen der SED zu schnell vergessen, zugeschüttet worden sind?
Es gibt auf jeden Fall den massiven Versuch eines roll back. Die Erben der Nomenklatura, der alten herrschenden Klasse, hatten sich auf den verschiedensten Ebenen im ersten Schreck ein bisschen in die Löcher verkrochen. Dann guckten sie mit der Nase raus, jetzt sind sie längst wieder da und missbrauchen die Demokratie, um ihre Verbrechen in der Zeit der Diktatur schönzureden, zu verharmlosen. Und da der Staat ihnen dafür auch noch eine Beamtenrente zahlt, die viel höher ist als das Geld, von dem ihre Opfer leben, fühlen sie sich auch durch diese Anerkennung der Gesellschaft ermutigt und bestätigt. Die lachen beim Greinen. Die weinen nicht wirklich der alten DDR-Zeit nach. Das denken nur die naiven Leute.
Die alten Kader sind Gewinner der Wende?
Nein! Die Demokraten haben gewonnen, aber die unmittelbarsten Nutznießer des Zusammenbruchs der DDR sind zwei Gruppen von Menschen: die ganz jungen, die einfach wie Luftholen, ohne lange nachzudenken, die frische Luft der Freiheit genießen und auch nutzen, und die alten Unterdrücker, die viel, viel eleganter und effektiver die Kurve gekratzt haben als ihre Opfer. Sie sind die scheinbaren Sieger, und das deprimiert manche.
Werden Sie sich als Berliner in dieser Stadt künftig mehr einmischen?
Ich glaube, das ist fast so etwas wie meine Pflicht. Und es ist ja so: Wenn ich vom Bahnhof Friedrichstraße über die Weidendammer Brücke gehe, an meinem Adler vorbei, am Berliner Ensemble vorbei in Richtung zu meiner alten Wohnung, treffe ich alle 20 Meter einen Menschen, den ich kenne, der mich anquatscht. Ich treffe alte Freunde und die alten Schweinehunde, die mit verkniffener Fresse an mir vorbeigehen. Das heißt, Berlin zottelt an meinem Herzen viel mehr rum als Hamburg. Für ein gemütliches Rentnerleben ist das hier nix.
Werden Sie sich eine Wohnung in Berlin nehmen?
Ich sollte mir eine kleine Wohnung besorgen, damit ich nicht immer auf der Besucherritze bei meinem Sohn Benjamin, bei meiner Tochter Nelli oder bei Freunden übernachten muss.
Sie kommen jetzt also wieder öfter …
Ich bin ja nächsten Sonntag schon wieder da zu einem Konzert – im Berliner Ensemble – zusammen mit dem berühmten Göteborger Kammerchor unter der Leitung von Gunnar Eriksson. Die Schweden haben eine lebendige Folksong-, Jazz- und Chortradition, viel moderner als bei uns. Wenn der Chor das deutsche Lied “Ermutigung – Du lass dich nicht verhärten” auf Schwedisch singt, heißt das “uppmunteran” und ist inzwischen sogar im schwedischen evangelischen Gesangsbuch zu finden; und die Schweden denken, das ist ein Schwedenlied. Sehen Sie, das nannten wir in der DDR Weltniveau. Und am Montag geben zwei dieser Schweden, Stefan Forssen und Gunnar Lindgren, ein Jazzkonzert im Quasimodo!
In einer alten Fassung Ihres Liedes “Warte nicht auf bessre Zeiten”heißt es: “Wir wolln im Sozialismus/ Die schönsten Straßen baun/ Wo Menschen glücklich wohnen/ die auch dem Nachbarn traun/ können,// Dann baun wir uns ne Karl-Marx-Allee …” und zum Schluss, heißt es, “eine Biermannstraße, wenigstens ne kleine Gasse” … würde Ihnen das heute noch gefallen?
Da ich jetzt durch den Berliner Senat in den Hochmut getrieben wurde, kann ich mich mit einer Straße nicht mehr zufrieden geben … nein, im Ernst, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, es ist mir absolut egal! Da das hoffentlich, wenn überhaupt, erst passiert, wenn ich auf der Wolke sitze, geht es mich sowieso nichts mehr an. Und sollte in fünfzig Jahren wirklich jemand durch eine Biermannstraße latschen, der natürlich längst vergessen hat, wer das war, kommt vielleicht einer, der sagt: Det war doch der Kleene mit die Gitarre, der die Lieder gespielt hat in die Zeit, als hier die – wie hießen die noch gleich -, die Kommunisten dran waren und so ne Diktatur gemacht haben. Det is lange her. Allet vajessen.
Konzerte: 15. April um 19.30 Uhr: “Ermutigung – Wolf Biermann und der Göteborger Kammerchor im Berliner Ensemble; 16. April um 21 Uhr “Swedish Jazz” im Quasimodo.
Merci an Anaximander für den Tip 😉
[…] jetzt also Ehrenbürger von Berlin. Aus diesem Anlaß gab er der Berliner Zeitung ein Interview. Hier kann man es lesen. Ein paar Stellen möchte ich daraus […]
d Das rote Blog 1 9 » b Blog Archiv 1 1 38 » Biermann: “Berlin zottelt an meinem Herzen” 35
April 25, 2007 at 10:42 am
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Florian Havemann, « Raumzeit
December 9, 2007 at 10:21 pm
[…] noch nicht für die aktuellen Montagsmahnwachen gesungen hat. Denn immerhin hat er in einem Interview auf die Frage “Was ist links, was ist rechts?” […]
Wolf Biermann singt im Bundestag | Josef A. Preiselbauer
November 8, 2014 at 9:00 am