Rechtsextremismus im Advent
Oder: Wie man mit einem neonazistischen (Ehren-) Mordversuch umgeht
Politischer Antifaschismus war das letzte Überbleibsel, das mich bis vor einiger Zeit noch lose mit der Linken verband. In der liberal-libertären Strömung empfand ich die neutrale Äquidistanz zu den extremen Rändern oft sonderbar und die teilweise kumpelhaften Toleranzen zu rechtsextremer bis neonazistischer Ideologie (+ Praxis) teilweise ekelerregend.
Es ist sicherlich eine richtige Einschätzung, Meinungsäusserungen in der politischen Diskussion freien Lauf zu lassen. In der aktuellen Debatte über den Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef scheinen mir aber Reflexe aufzutreten, die den Gefahren, die von rechtextremen Strukturen und Subkulturen auf eine offene Gesellschaft ausgehen, nicht gerecht werden können und die das vielleicht auch nicht wollen – je nachdem, wie stark das Feindbild auf den Staat als ursächlicher Grund für ausbleibende und beschränkte Liberalität ausgeprägt ist. Dann werden die Staatsbüttel folgerichtig kaum oder gar nicht in Schutz genommen.
Ich halte es auch für äusserst Zweifelhaft, ob ein NPD-Verbot den Spuk der Neonazis beenden kann – es könnte allerdings der Ausbreitung und Verankerung des kaum diskutablen Ungeistes eine pekuniäre und parlamentarische Grenze aufzeigen. Für mich bleibt es weiterhin unerträglich, dass die ideologischen Nachfolger des 3. Reiches mit Staatsknete ihr politisches Unwesen aufbauen können – für die SED-Nachfolgeorganisationen gilt das übrigens ebenfalls. Die SED ist allerdings nicht substanziell auf die Staatsknete angewiesen, in der Wendezeit wurde ein Milliardenbetrag vor den “imperialistischen Kräften des Westens” in Sicherheit gebracht. Die Herren Bisky, Gysi, et al hüllen sich aber über ihre Sonderform “sozialistischer Kapitalflucht” beharrlich in Schweigen.
Wenn sich aber heute liberal dünkende Blogger über das Opfer des mutmasslich neonazistischen Mordanschlages in Passau lustig machen, komme auch ich in eine tiefe Überschattung. Der Lindwurm hat seine Konsequenzen aus der Passaudebatte z.B. über seine Blogrolle ausgedrückt. Ich übe mich noch etwas in Geduld. Spontane Hitzigkeit kann hilfreich sein, muss sie aber nicht.
Einen schönen vierten Advent 😉
PS: Ich halte mich aus dieser “spooky-debate” in klein Bloggersdorf lieber heraus, meine Zeiten als Sektenbeauftragter sind nämlich unwiederbringlich vorbei.
Im Anhang habe ich einige interessante und aktuelle Artikel zum Thema zusammengestellt, Quelle ist der Newsletter von respectabel vom 19.12.08:
Feilschen um die Zahl der Opfer
Rechtsextreme Gewalt. Frankfurter Rundschau 12.12.2008
«Viele Grüße vom nationalen Widerstand»
Der Polizeichef der bayrischen Stadt ist offenbar Opfer eines Racheakt eines Skinheads geworden: Der Angreifer erwähnte vor der Tat einen Zwischenfall bei der Beerdigung eines Rechtsextremen. Netzeitung 14.12.2008
Neues NPD-Verbotsverfahren im Gespräch
Politiker fordern hartes Durchgreifen. tagesschau.de 15.12.2008
“Noch nie eine so brutale Attacke”
Gespräch mit Richard Stöss, Rechtsextremismus-Experte der Freien Universität Berlin
Berliner Zeitung 16.12.2008
Schlummernder Feind
Das Passauer Attentat zeigt, dass der Rechtsextremismus nicht nur Minderheiten bedroht, sondern den Staat. Ein NPD-Verbot würde die rechte Szene deutlich schwächen. Süddeutsche Zeitung 16.12.2008
wow:
“In der liberal-libertären Strömung empfand ich die neutrale Äquidistanz zu den extremen Rändern oft sonderbar und die teilweise kumpelhaften Toleranzen zu rechtsextremer bis neonazistischer Ideologie teilweise ekelerregend.”
das sind goldene worte.
der ganze beitrag ist auch gut.
frohes fest trotzdem und so.
dissi
kotzboy
December 21, 2008 at 1:54 am
100% Zustimmung. Kann es auch nicht verstehen, warum Menschen, die ständig das Wort “antitotalitär” als Selbstbezeichnung verwenden, gerne mal rechte Gewalt kleinreden.
Danke für die Hinweise,
Tobias
Tobias
December 21, 2008 at 2:47 pm
dito, aber so was von dito!
Helga
December 22, 2008 at 2:56 pm
@Dissi: Willkommen an Bord nach der Blogpause. Dein Beitrag hing in meinem Spamfilter fest,habe das eben erst gemerkt. Asche auf mein Haupt, sorry und Dir ooch nen paar hübsche (Fest-) Tage inne Frontstadt 😉
@Tobias: Die Sache mit Kleinreden hat verschiedene Ursachen, es kommt immer auf die Einzelargumentation an. Gefährlich wird es, wenn Protagonisten idealistische Luftschlüsser marodierenden Mörderbanden zur Meinungsfreiheit verhelfen wollen.
@ Helga: Darauf müssen wa nach der Niederkunft des heiligen Christ einen Futschi trinken 😉
zuppi
December 22, 2008 at 7:57 pm