Archive for the ‘Kulturwissenschaft’ Category
Sommerlektüren
Überbleibsel linker Intellektualitäten
Über einen Ttwitterbeitrag wurde ich auf den Konstanzer Autor Konradin Leiner aka QRT (1965-1996) aufmerksam gemacht – QRT wurde im besagten Tweet als protofaschistischer Autor von “Zombologie” vorgestellt, seine Texte werden im Berliner Merve-Verlag in der Nachbarschaft von Foucault, Deleuze, Negri, Baudrillard, Luhmann und Cy Twombly veröffentlicht. Zur Zeit lese ich Tekknologic. Zombologie hängt noch in der sommerlochartigen Bestellschleife bei meinem Buchhändler fest. Ich bin etwas überrascht, welche Ideen im subkulturell elektrobegeisterten Berlin der 80er und 90er den Weg zum gedruckten Wort gefunden haben. Ob das neue Irrlichter aus dem Hause Merve sind? Dem teutonisch linken Ungeist wurden ja aus dem kleinen Verlagshaus in Schöneberg (vormals Wilmersdorf) schon so einige Herausforderungen aus Frankreich und Italien präsentiert. Jetzt weht der textuelle Wind also direkt aus dem Herzen der ehemaligen Frontstadt, wenn auch nur zugereist aus Konstanz und posthum veröffentlicht. Ich begebe mich dann auf die Spurensuche nach Protofaschismus in den mir vorliegenden Textfetzen.
Das Ende der grossen Würfe sei nahe
In einem Gespräch vor einigen Wochen wurde mir ein interessantes Projekt vorgestellt: Eine neue Biographie über den Philosophen Karl Löwith (1897-1973), dessen Autobiographie nicht nur wissenschaftsgeschichtlich interessante Aufschlüsse zur Geschichtswahrnehmung des 20. Jahrhunderts liefert. Die Judenverfolgung und das 1934 ausgesprochene Berufsverbot der Nazis führten ihn zwangsweise über Italien, Japan in die USA. In den 50er Jahren nahm er einen Ruf an die Heidelberger Uni an. Ich schätze ihn seit den 80er Jahren als Wegbereiter dekonstruktivistischer Ansätze historisch-philosophischer Fragestellungen im dt. – engl. Sprachraum. Er wird meist als stoischer, skeptischer und agnostischer Philosoph eingeschätzt. Einer seiner populärsten Texte ist wohl der im deutschen bearbeitete Band “Weltgeschichte und Heilsgeschehen: Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophi” (engl.: Meaning of History, Chicago University Press, 1942), bei mir liegt aktuell das Taschenbuch des Kohlhammer Verlages aus 1954 in 4. Auflage auf dem Schreibtisch – ich werde mir noch die Originalausgabe und den aktuell herausgegebenen Text besorgen. Die Redaktionsgeschichte des Textes dürfte ein Schlaglicht auf die Rezeptionsgewohnheiten der Texte von Karl Löwith in den Geisteswissenschaften des 20. Jahrhunderts liefern.
Dass ausserhalb des philosophischen Unibetriebes immer noch verbreitet in heilsgeschichtlichen Totalitäten gedacht und argumentiert wird, dürfte kein Geheimnis sein. Ich fühle mich dahingehend in praktisch politischen Ansätzen über Jahrzehnte zurückgeworfen. Es ist nicht nur intellektuell keine Herausforderung, mit Mitmenschen des 21. jahrhunderts über die vorgeblichen Vorteile von “islamischen Republiken” gegenüber westlich-liberalen Gesellschaftsmodellen zu diskutieren. Eine breite Ödnis tut sich da auf.
Zur Belüftung des Geistes bin ich dann aber unter der Führung des Pausanias auf dem Wege durch Athen und Umgebung.
Eine thematische Sommerpause
Meine Liberalismusstudien sind eher für die Winterzeit geeignet, ich werde sie im Herbst fortführen. Der philosophische Erkenntnisgewinn ist bisher eher dürftig ausgefallen, naturrechtliche Überlegungen zur Stärkung des Individualismus kommen mir wie Gymnastikübungen aus dem 19. Jahrhundert vor. Wenn das Laub wieder fällt, kommen aber bestimmt neue Wege zum Vorschein.
Der Juni
Der Mai verabschiedet sich mit Gewitter und Regen,die Frontstadt wirkt abgedunkelt,so stelle ich mir den Sommer in Finnland oder Island vor. Der Mai war aber auch angefüllt mit metaphysischen Themen: Ich habe mir angeschaut,wie christliche und säkulare Erinnerungsarbeit nach 60 Jahren Grundgesetz funktionieren,die 68er-Komponente habe ich durch den Schriftsteller Uwe Thimm auch noch mitbekommen.
Die Causa Kurras wird mich wohl noch eine Weile beschäftigen,genauso der Tod von Benno Ohnesorg. An Mythen in Tüten habe ich sowieso noch nie geglaubt, aber die Dekonstruktion der linksradikalen Märtyrergeschichte um Benno Ohnesorg erscheint mir interessant. Obwohl ich mir auch etwas unsicher über die aktuelle Wikungsmächtigkeit von Benno bin,Che scheint immer noch mehr für DIE LINKE zu rocken. Benno ist doch eher was für die Greise.
Die linke Libertinage in den 60er und 70er Jahren mit linksradikalen Grüppchen wie dem “2. Juni” (Benno Ohnesorgs Tod als aktive Verzweckung missbraucht) oder RAF scheint mir schon damals porös und wenig in der Bewegung verankert gewesen zu sein. Die Erfolgsgeschichte der GRÜNEN in der alten BRD scheint mir der parlamentarische Beleg dafür zu sein – sie haben aber den pazifistischen Antiimperialismus in die postnazistischen Spiesserwohnzimmer gebracht. Die Spartakisten haben sich trotz grosszügiger Unterstützung aus dem Politbüro nicht als Partei in Bund oder Ländern etablieren können. Im vereinigten Deutschland sieht das natürlich anders aus,die SED hat sich im Osten als dritte oder zweite Kraft eingerichtet, die SPD hat im Westen ihren linken Mitgliederflügel weitestgehend an die SED verloren. Daran ändern auch Müntes Heuschreckenkampa oder der aktuelle sozialdemokratische Verstaatlichungswahn wenig.
Zur EU-Parlamentswahl bin ich immer noch ein unentschlossener Geist, Frau “peinlich-“Koch-Mehrin zieht mich nicht gerade an die Wahlurne und die Berliner Kandidatin – eine Anwältin – ist ein völlig unbeschriebenes Blatt. Die CDU fährt meinen ehemaligen Bezirksbürgermeister Zeller an die EU-Wahlfront, der auch als CDU-Vorsitzender in Berlin keine schlechte Figur gemacht hat. Leider wurde er von seinen Berliner Kameraden abgewählt, als Bezirkstadtrat hat er aber einge sichtbare Bauprojekte auch für die Jugend mit voran gebracht. Ich mach einmal hier einen break.
Wem die christliche Pfingstbotschaft zum glücklich sein nicht ausreicht,für den habe ich noch einen Tipp. Vor etwa 5 Jahren,ich sass mit Schrippe mal wieder im OBEROI zum jour-fixe. Dort hatte ich Kontakt mit einer Gruppe Astrophysiker,die im angemieteten Saal ihre Tagung ausklingen liessen. Sehr kauzige Leute. Einer berichtete mir von der wisenschaftlichen Suche nach extraterrestrischer Intelligenz,denn WIR SIND NICHT ALLEINE. Die Suche nach der Weltformel war mir bekannt,aber diese Astronomen konnten mich als Sci-Fi-Fan mit ihrer Idee ein wenig anstecken.Ich wurde mit einem Projekt der SETIS-Liga bekannt gemacht und stellte Rechnerkapazität aus meinem Servernetz zur Auswertung der Informationsflut aus dem Weltall über Tage zur Verfügung. Es wurden zwar bis heute keine Ausserirdischen gesichtet,aber wie mit der Abwarterei auf eine liberale säkulare Gesellschaft ist das auch mit E.T.,die Hoffnung stirbt zuletzt.
Möge die Macht mit Euch sein 😉
PS: Zum Karneval der Kulturen gibt es noch eine Aktualisierung. Ich habe letztens von der postmodernen Variante der Völkerschauen berichtet. Aktuell scheint der Unterschied zur ethnologischen Gatterbegaffung aus dem letzten Jahrhundert darin zu bestehen,dass die Deutschen sich mit ins Gatter setzen,resp. mit den diversen Völkerrepräsentanten durch Berlin marschieren.Innen ist Aussen und Aussen ist Innen. Ganz toll.
Scholastik und WiWi °
Die Katholische Theologie des Mittelaters ist die Mutter der Geisteswissenschaften, das wird nicht gerne gehört,aber es ist so. Stefan Blankertz hat mich in der letzten Zeit immer wieder mit der Nase auf den Kern dieser Tatsache gestossen. Letztes Jahr im August ist mir die Errettung der Scholastik des Institut für Wertewirtschaft aufgefallen, Gregor Hochleiter kümmerte sich um die Wertlehre der Spätscholastik. Um was geht es bei der Scholastik allgemein methodisch betrachtet?
Scholastik, abgeleitet vom lateinischen Adjektiv scholasticus („schulisch“, „zum Studium gehörig“), ist die wissenschaftliche Denkweise und Methode der Beweisführung, die in der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Mittelalters entwickelt wurde.
Bei dieser Methode handelt es sich um ein von den logischen Schriften des Aristoteles ausgehendes Verfahren zur Klärung wissenschaftlicher Fragen mittels theoretischer Erwägungen. Dabei wird eine Behauptung untersucht, indem zuerst die für und die gegen sie sprechenden Argumente nacheinander dargelegt werden und dann eine Entscheidung über ihre Richtigkeit getroffen und begründet wird. Behauptungen werden widerlegt, indem sie entweder als unlogisch oder als Ergebnis einer begrifflichen Unklarheit erwiesen werden oder indem gezeigt wird, dass sie mit evidenten oder bereits bewiesenen Tatsachen unvereinbar sind.
Der heute bekannteste Teil der scholastischen Literatur handelt von theologischen Fragen. Die Scholastik war jedoch keineswegs auf theologische Themen und Ziele begrenzt, sondern umfasste die Gesamtheit des Wissenschaftsbetriebs. Die scholastische Methode wurde als die wissenschaftliche Vorgehensweise schlechthin betrachtet.
Als wirtschaftsliberale Urgesteine gelten gemeinhin die Theoretiker Smith,Ricardo, Say etc.. und einer ihrer geharnischten Kritiker war Karl Marx. Die wirtschaftsliberalen Urgesteine oder Klassiker konnten ihrerseits auf ökonomische Vorarbeiten der Spätscholastik zurückgreifen. Thomas E. Woods Jr eröffnet in seinem ef-Artikel “Kirche und Wirtschaft: Der freie Markt und der katholische Glaube” im Rahmen der Papstdebatte diesen scholastischen Denkraum ökonomischer Überlegungen der Magister des Mittelalters, das forthin nicht mehr so dunkel scheinen möge, wie allgemein angenommen – sein Buch „Sternstunden statt dunkles Mittelalter“ hat nun einen Platz auf meine Leseliste. So wird die retrospektive Kette auch des ökonomischen Denkens immer länger und ich komme dem liberalen Denken wissenschaftsgeschichtlich eine beachtliche Wegstrecke näher.
PS: Wer grundsätzlich Lust zum philosohieren verspürt,kann sich aktuell bei Zettel zum lesen und disputieren einfinden.
° = Wirtschaftswissenschaft
references:
Leben im Mittelalter
Wurzeln des Liberalismus
Neues aus der “Recherche”
Totgesagte leben doch länger. Ich mache Werbung für ein Holzmedium. Die “Zeitschrift Recherche” tritt mit ihrer vierten Ausgabe auf den Markt – das Konzept ist an die Rezeptionsgewohnheiten der virtuellen Welt angepasst worden. Käufer und Abonnenten der Papierausgabe haben einen Informationsvorsprung von etwa 8 Wochen, dann werden ausgewählte Texte der Öffentlichkeit ohne Geldumwege auch virtuell zugänglich gemacht. Da die Themen aus dem Fundus der wissenschaftsgeschichtlichen Befindlichkeiten relativ zeitlos sind, halte ich das für eine vertretbare Lösung, um auch breitere Leserschichten an den Debatten teilhaben zu lassen, die nicht nur den Elfenbeinturm Kopfrocken lassen. Wissenschaftliche Expertise gehört ja zur Entscheidungsfindung wie der Donut zum Kaffee in der Mittagspause. In der aktuellen Ausgabe sind mir folgende Themen als lohnenswert aufgefallen.
Oliver Geden stellt in seinem Essay “Strategischer Konsum statt nachhaltiger Politik” (auch in Transit, Heft 36) die Ohnmacht und Selbstüberschätzung des klimabwussten Verbrauchers zur Diskussion: ” Die Ökologiebewegung hat den kritischen Konsumenten mit Weltveränderungspotenzial stilisiert: “Kauf Dir eine bessere Welt” lautet der Slogan einer privilegierten Kundenschicht, deren politische Haltung zusehends zur Lifestyle-Attitüde verkommt. Zudem bleibt das ökologisch korrekte Konsumverhalten aufgrund der komplexen klimapolitischen Zusammenhänge weitgehend wirkungslos. Reale Durchschlagskraft haben nur die politisch verordneten Rahmenbedingungen.”
Der Brüller ist die Mindmap für kritische Konsumenten, Weltverbesserung als Wohlfühlprogramm: Klick the pic to zoom!
Sigrid Weigel versucht in die Fussstapfen Walter Benjamins einzutreten. Ihre Kritik der Gewalt zwischen religiösem Fundamentalismus und Sakularisierung in der Monographie “Walter Benjamin. Das Heilige, die Kreatur und die Bilder” wird von Sandra Lehmann in der Buchrezension “Zeit der Hölle” nachgezeichnet.
Interessant ist auch der Zeitungsaufmacher. Dem Gerede über die Finanzkrise begegnet Margrit Kennedy mit ihrem Essay “Wer regiert das Geld? Nicht die Gier der Spekulanten,sondern ein Konstruktionsfehler des Geldsystems ist schuld an der Finanzkrise.” ( Text engl.) Komplementärwährungen unterstützten Zentralbanken und Regierungen, die sich antizyklisch verhalten.Herkömmliche Banken verhalten sich prozyklisch. Man merkt, der Liberalismus ist auch bei Frau Kennedy nicht gerade beheimatet, aber sie macht die verbreitete Neid- und Gierkampagne nicht mit.
Die Themen des studentischen Frontstadt-Plaudertisches aus den Zeiten der Jahrtausendwende kommen nun auch in der “Zeitschrift Recherche” an. Gayatri Chakraworti Spivaks Grundlagentext ist mittlerweile in deutscher Sprache verlegt, “Can the subaltern speak – Postkolonialität und subalterne Artikulation”. Er wird von Elisabeth von Samsonow in “Differenz als Falle” unter die Lupe genommen.: “Innerhalb einer Logik, die Repräsentation für archaisch hält, treibt der theoretische Kult des Minoritären urbane Blüten – man kann für ethnisch Andere, Frauen, Farbige, Primitive, Analphabeten, und Bauern sprechen, nein, man muss einfach.” Der deutsche Denk- und Publikationsraum ist eben immer noch etwas träge bei der Aufnahme internationaler Diskussionen. Ich habe Frau Spivaks Thesen erstmalig im Rahmen globalisierungskritischer Diskussionen der 90er vernommen, da waren ihre Haare noch dunkel und sie lehrte an US-amerikanischen Unis “postcolonial studies” und förderte in ihrer freien Zeit Frauenprojekte in Bengalen. Mittlerweile ist die Wissenschaftlerin und Praktikerin aus Indien auch etwas ergraut aber nicht minder tätig.
Wenn die jeweiligen Artikel online gestellt werden,kann ich die auch hier verlinken, die Texte von Geden und Kennedy sind bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden. Studis aus dem deutschsprachigen Raum haben mir berichtet, die Zeitschrift wurde an Unis kostenlos ausgelegt gesichtet. Ich hoffe, etwas Interesse für diese Zeitschrift geweckt zu haben und wünsche viel Spass beim Kopfrocken!
references:
MMSenf zu O. Geden
Leben im Mittelalter
kurz notiert
- Neuigkeiten aus den Epik- und Drama-Räumen der Kunst: Thomas Bernhard und Heiner Müller bei Power Of Will.
- Nahezu “Wildes Denken” mit Michel Foucault und T.W. Adorno gibt es in der Freiheitsfabrik.
- Quelle Buch: Arnulf Baring bespricht “Honeckers Erben – Die Wahrheit über Die Linke” von Hubertus Knabe – “Der diskrete Charme der DDR” ist auch zu empfehlen. Via anaximander
- USA umarmen Iran: Da lacht der Mullah by Lindwurm. Nie mehr lachen wird der Blogger Omid Mir Sayafi, er ist von den Knast Schergen der Mullahs getötet worden. Mehr bei Jensito.
- Autorenportrait eines Gründers der liberalen politischen Ökonomie, mit dem sich schon K. Marx in nahezu jeder dritten Fussnote seiner politökonomischen Schriften auseinandersetzte: Jean-Baptiste Say (1767-1832), Autorendebut von Daniel Leon Schikora bei eifrei-online, via Power Of Will.
Der Zettelkasten
Wissenserschliessung in einer digitalen Welt.

Kompagnon A5
In der analogen Zeit habe ich mir Sachverhalte aus Bibliotheken und Archiven mit Hilfe von DIN-A-5 Notizbüchern (ähnlich diesem Kompangon), meiner Praktica-Kamera und Karteikästen aus Holz erschlossen – heute übernimmt das ein Subnotebook oder der Palm. Texte wurden handschriftlich vorbereitet, mit der Kugelkopf- oder später einer Typenrad-Schreibmaschine in die letzte Form gegossen, dafür gab es kompetente Schreibdienste – ich frage mich bis heute, wie die Leute dort mein Gekrakel so fehlerfrei entziffern konnten. Kopierdienste oder -studios haben dann den Verfielfältigungrest erledigt. So war sie, die gute alte Zeit.
Mit Helga vom Tellstübchen (dort wird eben nicht nur hochprozentig konsumiert sondern auch gelegentlich vielversprechend nachgedacht oder zuletzt auch dem Kabarettsternchen Wolfgang Neuss aus Charlottenburg zum 85. gedacht) hatte ich in den letzten Monaten öfters die Systemtheorie und Olle Niklas Luhmann – “die Welt ist über die Analyse von Kommunikation erschliessbar” – in der Mache. Wir nahmen uns dazu die eine oder andere Hermeneutik z.B. von Siggi Freud vor. Etwa zu gleicher Zeit hat Marco vom nerone-Blog eine schmale Anwendung – den Zettelkasten (800kb) von Daniel Lüdecke aufgetan. Daniel hat Luhmanns Zettelkasten zur Anwendung programmiert und freundlicherweise kostenlos im Netz abgelegt.
Ich habe nun beschlossen, den Versuch systemtheoretischer, digitaler Felderschliessung mit Hilfe des Zettelkastens aufzunehmen. Premiere wird aller Voraussicht nach das Buffy-Thema werden. Ob aus mir – hermeneutisch verdorben bis zum jüngsten Tag – wohl auch noch ein Systemtheoretiker werden kann? Im Zweifelsfall wird es eine Selbstbedienung im methodisch-technischen Steinbruch des Hildesheimers.
PS: (offtopic) Nun meuchelt der Klima- und CO2-Wahn der EU auch noch das Andenken an Edison einfach dahin, das Siechtum der Glühbirne ist beschlossene Sache – sachliches zu Staatsraub und EU-Warentotalitarismus gibt’s bei Zettel. Ich aber sage: Der Krug geht solange zum Brunen, bis er bricht. Nimmst Du mir Glühbirne weg, mach’ ich Athen-Exarchia!
references:
Herr Paule zum Arbeitstechnikfetisch:Wissen unter Kontrolle
Idealisierungen der Genforschung – Teil 1
Vorüberlegungen
“Das Buch des Lebens” , ein Text der Wissenschaftshistorikerin Lily E. Kay (1947-2000), erschien in 2000 bei Stanford University Press als “Who wrote the Book of Life?“. Ein Jahr darauf gab der Carl Hanser Verlag die deutsche Ausgabe heraus. Seit Herbst 2008 liegt das Buch als Suhrkamp-TB (stw1746, 2005) bei mir auf dem Schreibtisch. Das Thema “genetischer Code” gehört nicht gerade zu meiner Alltagsbeschäftigung – wohl aber die wissenschaftshistorische Darstellung von Idealisierungsvorstellungen und die daraus resultierenden oder abgeleiteten Ideologeme. Hier wird wissenschaftliche Erkenntnis zum Spielball verschiedenster Interessen,die nicht unbedingt der Aufklärung zuträglich sein müssen.
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Who Wrote the Book of Life?
A History of the Genetic Code 2000 |
Im Leistungskurs Bio machte ich botanisch-genetische Reihenversuche mit Hilfe der Elektrophorese – mit deren Befassung ich fast versucht war, Biologe zu werden,ich änderte aber meine fachlichen Pläne. Die Faszination,der Grundbauplan des Lebens basiere auf nur vier Basen,die lediglich durch ihre paarweise Anordnung Amöben, schwarze Rosen oder den Menschen hervorbringen,lag tief: Könnte man auf diesem Wege “dem Wesen,dass so viele Menschen verehren”, nun endgültig in die Karten schauen? Oder wäre die neue genetische Annahme sogar der Gegenbeweis zum theistischen Weltbild? Als junger Mensch stellt man sich wohl solche holistischen Fragen,auf die es kaum befriedigende Antworten geben kann.
In der Umweltbewegung der Achtziger gab es viele Aktivisten,die der Gentechnik feindselig gegenüber standen – analog zu AKW- und sonstigen Technik-Themen.
In den Neunzigern kam mir das Thema der ökonomischen Nutzung der Genetik – nun als ausgereiftes Konstrukt von der Biotechnologie – als Patentdebatte auf genetische Baupläne (auch die des Menschen) wieder entgegen – Umweltschützer zerstörten angeblich symbolisch Genmaisfelder, weil ein veränderter Genpool einer Spezies unkontrollierbare Folgen für die (genetisch unveränderte) Umwelt in sich berge. Ich liess mich derweil in einem Biolabor von einer weissen Maus mit einem menschlichen Ohr auf dem Rücken als Ersatzteillager begeistern. Das Thema ist also keineswegs nur für den Elfenbeinturm interessant, eine Befassung damit erleichtert auch politische Entscheidungen von höchstem Rang.
Lily E. Kay interessiert sich für die wissenschaftshistorischen Entwicklungen des genetischen Codes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, genauer von 1953-67. In dieser Zeitspanne wurden grosse Erkenntnissprünge in der Genetik erzielt, 1953 wurde die Doppelhelix von Watson/Crick entdeckt- später wurde den Genforschern auch Nobelpreise für ihre Entdeckungen zugesprochen.
Mit der industriellen Anwendung genetischer Erkenntnisse in weiten Bereichen der Verfahrenstechnologien konnte und kann viel Geld verdient werden: Pharmafirmen, Lebensmittelkonzerne und Medizintechnik profitieren von den Grundlagenforschungen genetisch forschender Unifachbereiche, es werden privatwirtschaftlich orientierte Unternehmen aus den Unis heraus gegründet,um Ideen zur Marktreife weiter zu entwickeln. Der ökonomische Zweck von Grundlagenforschung – inclusive seiner Grenzen – ist am Beispiel der Genetik und Gentechnik auf das Beste zu studieren. Mittlerweile wird der Zweig der Biotechnologien auch von einem illustren Haufen von Fachleuten publizistisch begleitet – für jedes (Gesinnungs-) Tierchen gibt es dort sicher ein zu rezipierendes Plaisirchen.
Die Kernthese von Lily E. Kay:
… Der genetische Code ist ein “Epochenstück”, ein Anzeichen für das Auftauchen des Informationszeitalters. Meine These besagt, daß Molekularbiologen “Information” als eine Metapher für biologische Spezifität verwendeten. Allerdings ist “Information” die Metapher einer Metapher und somit ein Signifikant ohne Referent, eine Katachrese. Als solche wurde sie zu einer unerschöpflichen Quelle für die wissenschaftlichen Vorstellungswelten vom genetischen Code als Informationssystem und Buch des Lebens. Informationsdiskurs und Schriftrepräsentationen des Lebens wurden unentwirrbar verknüpft. …
Im zweiten Teil werden die Ideen von Frau Kay exemplarisch dargestellt.
UPDATE Jänner 2009: Es wird keinen 2. Teil geben. Der Text gibt einen breiten Überblick über den wissenschaftlichen Erkenntnisraum der fünfziger/sechziger Jahre. Es wird auch deutlich, in wie weit unterschiedliche Erzähltraditionen in den Geistes- und Naturwissenschaften Missverständnsse bedingen. Letztendlich bleibt der Text aber im literaturwissenschaftlichen Narrativ hängen. Dann lese ich ehrlich gesagt lieber Texte der Philosophin Sybille Krämer (-Friedrich), sie lebt wenigstens noch und ich kann sie im Zweifelsfall auch befragen.
kurz notiert
- Warum Rasse keine gesellschaftliche Konstruktion ist,erklärt Walter Benn Michaels, der gegenwärtig als Literaturwissenschaftler an der University of Illinois/Chicago tätig ist, in der aktuellen Inselzeitung – deren Name für linksdeutsche Bauchpolitiker alleine schon den Inbegriff des Reiches des Bösen darstellt.
- Zusammenfassung: Tagung Bildungsfreiheit Oltober 2008 in Berlin
- Kleiner Geschichtsunterricht für Kapitalismuskritiker von Hannes Stein
- Leser-Poll: Der witzigste Film seit Menschengedenken kann bei Gideon gewählt werden.
- Internetsucht in China: Internet addiction made an official disorder in China
- Eine wirklich wirkliche Rolex: Philipp Blom über Richard Rorty
- Historikerstreit auf Zypern,Erzbischof haut auf die Kacke
- wordpress october wrap-up
kurz notiert
- Ende Oktober 2008 ist der Guerilla-Journalist Studs Terkel gestorben,einen Nachruf gibt es hier + hier und hier etwas Presseecho. R.I.P.
- Wenn Homos ideologisch in Sippenhaft genommen werden,kommt nur Stuss dabei heraus.Adrian hat sich das Thema aus aktuellem Anlass von Migrantengewalt gegen Homos genauer vorgenommen.
- Die Versetzung des Israelkritkers Ludwig W. sorgt für späten Protest: Aufstand in der Reha-Klinik
- In Sachen Überwachungsstaat sind die britischen Sozialdemokraten (New Labour) ganz vorne dabei,mehr Infos gibt es bei Jan Filter.
- Die FREE KAREEM!-Kundgebung an der ägyptischen Botschaft Berlin für den immer noch inhaftierten Blogger ist bei FDOG mit Videomaterial unterlegt, Die weltweiten Unterstützungskampagnen sind bei FREEKAREEM.ORG gelistet.
- Wolf Biermann hat gestern endlich sein Diplom für das Fach Philosophie von der HU-Berlin erhalten,obendrauf gab es auch noch einen Dr.h.c.. Biermann war von 1955 bis 1957 im Fach Politische Ökonomie eingeschrieben und von 1959 bis 1963 in Philosophie und Mathematik,dann wurde er der SED zu unbequem,ihm blieben die Gitarre,seine Stimme und seine Freunde. (#)
- Egotronicparties sind aus unterschiedlichen Gründen interessant,man trifft sich eben dort und das Thema Marktwirtschaft vs. Raubkopieren (#) kam schon im Vorfeld zu seinem Stellenwert.
Termine:
- Der Gedenkmarsch zur Reichspogromnacht 1938 durch Berlin-Moabit am Sonntag, 09. November 2008 ab 14 Uhr am Mahnmal Levetzowstraße/Jagowstrasse – nach der Kundgebung geht es wieder zur Putlitzbrücke am S-Westhafen. Ein Nationalliberaler meinte zu mir, “dieser Schuldkult gehe ihm auf die Nerven”,ich habe ihn zur NPD zum sich weiter ausheulen geschickt. Folge:meiner Intoleranz ist wohl ein Gesprächspartner weniger in der Frontstadt. Kurzum:Umfeldverkleinerung,denn “small is beautful”. Broder mag den dt. Betroffenheitskult nicht mehr ertragen. Gideons Gedanken: Nie wieder 9.November 1938!!! Und überhaupt,die eigentlichen Juden des 21. Jahrhunderts sind ja wohl die Anthroposophen. Moabit Demo-UPDATE: Dämlicher Zivibulle von Antifa verkloppt – Berichterstattungsvarianten I + II .
- Am Sonnabend 15.11.08 / ~21:00 gibt es wieder einen polnischen Abend im Club49 in der Ohlauer-31 mit Helga.
Lesestoff
– Lily E. Kay: Das Buch des Lebens, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1746,Frankfurt a.M. 2005
– Das Libertäre Manifest von Stefan Blankertz kann online via Freiheitsfabrik gelesen/herunter geladen werden.
Günther
Rohrmoser ist tot. Zum Glück ist das Leben endlich, sonst würden solch homophobe Mumien ja ewig leben und ihrer geistigen Nachgeburt nie Platz machen. Das Verschwinden des Herr R. vom Erdball ist bis heute nicht einmal P.I. eine Note wert und Adrian zieht sich auch nicht gerade einen Trauerflor an. Möglicherweise weinen aber die Weikersheimer, das Mullahregime im Iran, Putins Russland, Peter Glotz im Himmel oder die NPD dem konservativen Intellektuellen eine Träne nach – bin da jetzt zu eilig, um das zu recherchieren.
Apropos Homophobie:
In Berlin wird am Sonnabend in aller Herrgottsfrühe speziell die psychiatrische- resp. die psychoanalytische Variante in der Charité (PDF-Flyer) durchgekaut (INFO) .
references:
Mitscherlich zum 100. … Alexander Mitscherlich und die Moral … “Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft” Radiostream 1969
Kunstkritik
Im Guggenheim in New York hing eine gerahmte weisse Leinwand und in einem anderen Raum stand eine Tonne Fett herum, das war der Olymp der Gegegenwartskunst in 1994. Der Kunstbetrieb hat etwas von der Realität enthobenes, gleichzeitig reüssiert aber auch Alltagskunst am Markt, Graffiti und Street-Art sind bekannte Beispiele. Anno 2008 regt sich Jörg Sundermeier in der taz über dumme Künstler mit Aussage auf, er will dem bizarren Treiben einen Endpunkt setzen. Er weiss, das geht nicht, aber ein blosses HALT! reicht heute nicht mehr aus, Jörg macht Vorschläge:
Es geht noch absurder
Und stoppen kann man diesen ganzen Mist nur, indem man ihn offensichtlich seinerseits übertrifft. Ich verkünde also hiermit: nachdem ich zunächst den gesamten Eifelturm mit Diamanten besetzen und verpacken lasse (Protest gegen den Konsum), werden auf mein Geheiß hin 2.000 Aktivisten von der Weidendammer Brücke aus in die Spree scheißen (Protest gegen die Umweltverschmutzung), anschließend werde ich 40 nackte Nonnen aus den Türmen des Kölner Doms in den Tod springen lassen (Protest gegen Christenverfolgung im Nahen Osten), daraufhin werde ich zeigen, wie sich 200 Tibeter gegenseitig köpfen (Protest gegen die Globalisierung), um schließlich und letztlich ganz Rom zu bombardieren (Protest gegen den Verlauf der Geschichte). Vielleicht hätten die blöden Kunstspektakel endlich ein Ende, wenn jemand das alles machen würde. Denn etwas Dümmeres kann wohl niemandem mehr einfallen. Oder?
Ich habe ja Zweifel darüber, ob Dummheit kritisierbar sein kann, ob sich eine Auseinadersetzung wirklich lohnt, denn der Begriff an sich ist ja schon recht flexibel anwendbar. Aus dem Sartre-Verdikt der engagierten Literatur nach WKII – das Analogon zur Kunst mit Aussage – scheint die Kunstwelt aber nicht viel schlauer geworden zu sein. Ein mit Diamanten besetzter Eiffelturm wäre etwas hübsches, ich wäre wohl einer der ersten Eiffelturm-Spechte.
(HATTIPP: Senor Daffy)
references:
b-arbeiter-Video: Das Subjekt im Kunstmarkt
Zur Überschätzung von Künstlern: Gideon Böss
Souverän und verrückt – Die Konsumentensouveränität im Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen wird stetig reformiert, in wie weit der Konsument von den Reformen profitiert, ist im Einzelfall zu entscheiden. Letzte Woche war ich auf einer Fortbildung über neue Trends in der ambulanten psychiatrischen Versorgung, ein Aspekt war die liberalisierte Beteiligung der Patienten an ihrer Gesundung über das trägerübergreifende “Persönliche Budget” (PB) in der post-stationären Phase.
Das neue Angebot
Das PB ist ein Angebot der Sozialgesetzgebung für Behinderte / Betroffene, sich die Hilfen nicht mehr als Sachleistung im Paket bei einem Träger abzuholen. Budgetnehmer und Leistungsträger – Sozialamt, Krankenkasse, Renten- und Arbeitslosenversicherungsträger – können eine Zielvereinbarung schliessen und das erforderliche Budget dafür festlegen.
Der Budgetnehmer tritt dann als souveräner Kunde auf den Markt und sucht sich die Leistungsanbieter selber aus – das können Hilfeeinrichtungen / Träger der sozialpsychiatrischen Versorgung sein, es können aber auch fachfremde Dienstleistungen eingekauft werden, die nicht auf erkrankte Zielgruppen spezialisiert sein müssen, z.B. Qi Gong, Fitness Studio, etc. .. Hauptkriterium ist: Die eingekaufte Leistung soll glaubhaft der Teilhabe und Wiedereingliederung des Menschen in das gesellschaftliche Leben dienlich sein.
Wer die aktuelle Situation der psychiatrischen Versorgung kennt, kann erahnen: Diese Neuordnung beinhaltet Unwägbarkeiten und Chancen gleichermassen.
- Die Leistungsanbieter werden einer unkalkulierbaren Konkurrenzsituation ausgesetzt – deren Angebote werden sachlich und personell nach einer Bedarfseinschätzung geplant und sie müssen bei Neueinrichtung vorfinanziert werden.
- Die Patienten/Konsumenten müssen wissen, was ihnen auf dem Markt hilfreich ist und dies beim Leistungsträger auch formulieren und erfolgreich in eine Zielvereinbarung giessen, um die erforderlichen Geldmittel auch zu erhalten.
- Die Leistungsträger müssen neue Verwaltungswege finden, um den neuen Gesetzen genüge zu tun.
In jedem Fall werden neue Erfahrungen für alle Beteiligten erzeugt und die Evaluierung der Ergebnisse wird hoffentlich deren Erfolg beschreiben. Die Beratung Betroffener zum PB soll kostenlos erfolgen.
Der liberale Grundgedanke des Gesetzgebers, die Selbständigkeit Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen (unter diese Kategorie fallen i.d.R. hilfesuchende, psychisch Kranke) endlich einzurichten, ist längst überfällig – die Gesetzesnovellierung des SGB gibt es seit 2004, sie ist aber noch keine flächendeckende, bundesrepublikanische Praxis und die Modellversuche / Pilotprojekte gehen demnächst ihrem Ende zu.
Konsumentensouveränität
Der Begriff Konsumentensouveränität bezeichnet die Freiheit des Individuums zu entscheiden, wie seine Bedürfnisse gestillt werden. Daher ist die Konsumentensouveränität auch als das „Fundamentalprinzip der individuellen Bedürfnisbefriedigung“ bekannt.
Ein Eingriff in die Konsumentensouveränität findet z. B. bei staatlichen Krankenversicherungen, der Kfz-Haftpflichtversicherung, oder der Schulpflicht statt. Hierbei handelt es sich um meritorische bzw. demeritorische Güter. Zurückführen lässt sich das Leitbild der “Konsumentensouveränität” auf den klassischen Liberalismus des Adam Smith. Smith vertrat die Auffassung, dass der Verbraucher durch sein Nachfrageverhalten die Güterproduktion steuert. Dadurch wird erreicht, dass die Bedürfnisse des Verbrauchers optimal befriedigt werden.
Es geht auch um einen Paradigmenwechsel in der Leistungsverwaltung, der dem Betroffenen seine Eigenständigkeit und Souveränität zurück gibt. Psychisch erkrkankten Menschen wurde bisher i.d.R. die Fähigkeit abgesprochen oder zumindest bezweifelt, ihre Bedürfnisse richtig einschätzen zu können, zu wissen, was im Rahmen der Erkrankung förderlich oder hinderlich ist. Das PB hebt dieses Stigma einer psychischen Erkrankung nicht auf,es erlaubt aber mehr Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl von hilfreichen Dienstleistungen. Verkrustete Kartelle im psychiatrischen Hilfesystem können so auch umgangen werden. Ein Beitrag zur Normalisierung der Lebensverhältnisse von Betroffenen ist über die neue Praxis möglich.
Die ambulante, psychiatrische Versorgung
Die sozialpsychiatrischen Hilfsangebote können i.d.R. als meritorische Güter aufgefasst werden, dort ist die Konsumentensouveräntität eingeschränkt – auf dem flachen Land kommen lange Wege als bedeutende Einschränkung hinzu. Es gibt zaghafte Ansatzpunkte, die Konsumentensouveränität durch Nutzerbeteiligung zu erhöhen, ein Ansatz wird in der 2005 in Berlin erschienen Broschüre “Beteiligung von Betroffenen in der psychosozialen Arbeit” dargestellt. Grundgedanke der Nutzerbeteiligung ist die Erkenntnis, der Betroffene ist bester Fachmann seiner Erkrankung und das Hilfesystem sollte seine Autonomie befördern (und keine Ersatzabhängigkeiten aufbauen), in Krisen aber auch zuverlässig und zeitnah zur Stelle sein. Bei Ersterkrankten würde ich diese Fachmann-These aber für fraglich halten – diese Menschen bauen ihren Erfahrungsschatz erst noch auf und sie sind auf grundlegende, professionelle Unterstützungen und die Selbsthilfe angewiesen. Den Zeitpunkt der Ablösung vom Hilfesystem bestimmt grundsätzlich immer der Betroffene – im Idealfall gemeinsam mit den Helfern.
Ein runder Tisch
Eine konstruktive Debatte zwischen Profis und Erkrankten gibt es aus Berlin zu berichten. Dort wird monatlich vom paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW) eine Fortbildung mit Betroffenen und Profis der psychosozialen Arbeit durchgeführt, federführend ist dort das Referat Psychiatrie, Queere Lebensweisen.
Dort werden Rechtsgrundlagen und die Verwaltungsabläufe vorgestellt, zwei Betroffene berichten ausführlich aus ihren eigenen Erfahrungen, wie das persönliche Budget bei ihnen funktioniert, resp. wo es substanziell auch hakt. Es gibt dort die Möglichkeit, eine Diskussion auf gleicher Augenhöhe zu führen und die antipsychiatrische Praxis fliesst auch mit ein, denn eine der dort anwesenden Betroffenen ist ehemalige Mitarbeiterin des Weglaufhauses “Villa Stöckle”, sie hat ihre Gedanken zum PB in einem mehrseitigen, lesenswerten Papier niedergelegt: Das Persönliche Budget – der Wettbewerb um die Klienten hat begonnen.
Ausblick
In welcher Form das alt hergebrachte Dreieck “LEISTUNGSERBRINGER – BÜRGER – LEISTUNGSTRÄGER” bei der Beantragung von Leistungen für psychisch Kranke aufgehoben oder verändert wird, ist noch unklar – die Betroffenen mit der Leistungsverwaltung alleine zu lassen, ist auch eine Form der Ausgrenzung von Menschen, die so eine Leistungsbeantragung eben nicht oder noch nicht vollbringen können.
Immerhin wird Verrückten die Entscheidungsfreiheit immer wieder beschnitten oder zeitweilig ganz über gesetzliche Betreuungen abgenommen – auch wenn die Kriterien der Amtsgerichte immer mehr die Interessen der zu Betreuenden sehen können. Weit ausgeprägter dürfte allerdings die Stigmatisierung, Vereinsamung, Isolierung und der drohende soziale Abstieg psychisch Kranker sein. Hier kann das Persönliche Budget ein wichtiger Baustein zur Rückkehr oder zu einem Neuanfang werden, wenn die Bedürfnisse der Betroffenen im aufbauenden Prozess der Neuordnung auch vorkommen. Das kann mühsam sein, denn Verwaltungsmühlen mahlen langsam und nach eigenen Gesetzmässigkeiten. Das allein kann auch schon wieder verrückt machen.
references:
Das persönbliche Budget
DDR Rückblick: Punk Doku auf Zypern
Etwas überrascht war ich dann doch, Ostpunk auf einem Dokumentarfestival in Limassol auf Zypern:
DOCUMENTARY FESTIVAL
Theatro Ena, Second Municipal Market, Limassol, 8.30pm, 10pm and 10.30pm. Screenings of Denmark’s Enemies of Happiness, Cyprus’ Shushu and Germany’s Too Much Future. Punk East!. Look at www.bravenewmedia.com and http://www.filmfestival.com.cy. Part of Limassol’s 3rd International Documentary Festival. Ends 15.08.2008.
Da habe ich ja auch modernere, kulturelle Anknüpfungspunkte auf der schönen Insel,wenn es langweilig mit den alten Herren während der Zyperngespräche wird.