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Psychiatrie,Antipsychiatrie und die radikale Linke

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marxengelsIn den Hoch-Zeiten linksradikaler Bewegungen wurde fast alles zum kritikablen Gegenstand: Die Familie,die Ehe,überhaupt Institutionen wurden vor allem als Ausprägungen des Kapitalverhältnisses unter Staatsherrschaft beschrieben und in der Regel zum Teufel gewünscht – in Utopia würden sich die ganzen Probleme und Konflikte schon lösen lassen,das Paradies des Kommunismus wurde als erhabene Gesamtlösung herbei phantasiert und einige Kilometer an Schrifttum wurden in diesem Sinne auch produziert.

haldolAnno 2008 kümmern sich einige Protagonisten der neuen Linken wiederum um die Institution der Psychiatrie,sie ist nun – knapp 9 Jahre nach dem Foucault Tribunal 1999 in Berlin – wieder an der Reihe. Ob die heutigen Erzähler etwas vom Fach der Psychiatrie verstehen,kann ich noch nicht beurteilen,denn der vorgenommene Gegenstand wird anhand linker Bewegungsrealitäten aufgedröselt. Solitäres Konkretum ist die Antipsychiatriebewegung der 70iger und 80igerJahre,als Projekte in Deutschland werden das Sozialistische Patientenkollektiv aus Heideberg – ein ekelhafter Antiimp-Haufen – und die IrrenOffensive aus Berlin – ein aus dem Autonomenkonzept entwickelter Betroffenenkreis – theoriegeschichtlich und konzeptionell aufgearbeitet. Waiting gibt mit dem Beitrag: Theorie gegen den Psycho-Knast schon einen ersten Blick auf die Stossrichtung der Kritik frei.

In diesem Beitrag habe ich einige allgemeinere Infos zum Themenkreis Psychiatrie schlaglichtartig aus meinen Blogs zusammen geführt. Praktische Hilfen für irre Menschen in Krisen bieten im Rahmen der Antipsychiatrie die “Villa Stöckle” (das Weglaufhaus) in Berlin und in Saarbrücken ein antipsychiatrisches Tageszentrum, das vor zwei Jahren seine Pforten geöffnet hat. Ohne Staatsknete funktionieren übrigens beide Projekte nicht,sie sind eine sehr schmale Ergänzung des eher standardisierten psychosozialen Angebots der als wissenschaftliche Disziplin bereits abgewickelten Sozialpsychiatrie,resp. zur heutigen Gemeindepsychiatrie.

Auf der HP der Kinzig 9 wird die Veranstaltung wie folgt vorgestellt:

12.März 20:00 Größenwahn
Einführung in die Antipsychiatrische Theorie

Die ursprünglich aus der Linken und radikalen Linken formulierte Kritik an
der am Rand der Gesellschaft operierenden Institution Psychiatrie ist mit
dem Beginn der Psychiatriereformation in den 70er Jahren zum erliegen
gekommen. Eine Zusammenarbeit mit der radikalen Linken ist seitdem in der
Neuen Antipsychiatrischen Bewegung nicht mehr erfolgt und auch nicht mehr
bewusst angesteuert worden. Die Neue Antipsychiatrische Bewegung besteht
aus Psychiatriebetroffenen und nicht mehr aus ProfessorenInnen oder
PsychiaterInnen. Bei Selbstzufriedenheit, Defensivkämpfen und
einzelnen Erfolgen ist die Antipsychiatrische Bewegung zum Stillstand
gekommen. Wie bei einigen anderen der aus der Außerparlamentarischen
Opposition hervorgegangenen, partikular arbeitenden Gruppen wurde
auch in der Antipsychiatrischen Bewegung vergessen, sich in Bezug zu
Kapitalismusanalyse zu setzen. Scheinbar befreit vom Kontext wird vor sich
hin gewerkelt.
Im Vortrag sollen die Theorien der Antipsychiatrie einführend vorgestellt
werden. Wichtige Theoretiker, wie Cooper, Laing, Basaglia und Szasz werden
mit ihren Theorien besprochen und der der Psychiatrie innewohnende Bezug
zum Kapitalismus aufgedeckt. Aktuelle Antipsychiatrische Institutionen und
Bewegungen werden erwähnt. Ziel soll das Aufzeigen von
Anknüpfungspunkten der Antipsychiatrie zur radikalen Linken sein.
Der Referent David Wichera arbeitet seit 2 1/2 Jahren im Weglaufhaus „Villa
Stöckle“, der einzigen antipsychiatrischen Einrichtung in Deutschland. Er
ist dort im selbstverwalteten Team als studentisch Beschäftigter tätig mit
besonderem Schwerpunkt auf Öffentlichkeitsarbeit.

Ob die aktuellen Streitdiskussionen des Psychiaters Volkmar Aderhold aus Greifswald über die Unsinnigkeit/Schädlichkeit von Psychopharmakotherapie innerhalb der Psychiatrie von den Linken aufgreifbar sein werden? Auf die Idee,dass psychiatrische Einrichtungen auch überlebenswichtige Hilfen anbieten,wird dort wohl niemand kommen. Stattdessen wird ein Opfermythos “Psychiatriepatient” bedient,der in der Forderung auf ein Recht auf irre-Sein mündet. Auf diesen Anspruch hat die Psychiaterin Isabella Heuser aus Berlin mit einem zackigen Statement gekontert: “Ein Recht auf Psychose wäre wie ein Recht auf Krebs!

Wer den linken Diskurs über die Psychiatrie/Antipsychiatrie live verfolgen möchte,kann sich am Mi 12. März in Berlin in der K9 ein Bild machen. Weitere Termine: 5. märz bei MAD in köln, 6. märz in freiburg, kts, 7.märz in frankfurt am main, theoriepraxislokal im IVI, 19.30uhr.

references:

  1. Kontinuitäten der (Zwangs-)Psychiatrie, von Alice Halmi 2008
  2. Zwangsregime:Psychiatrie,geschlossene Anstalt,Forensik
  3. Neue Antipsychiatrie vs. Alte Antipsychiatrie.
  4. schokolade sieht die ganze sache nicht so pessimistisch
  5. Dissi war in der K9: einführung in die antipsychiatrie psychose neuer LINK
  6. Scheckkartenpunk
  7. Weglaufhaus Saar – Praktikumsbericht Villa Stöckle

Written by admin

March 6, 2008 at 9:07 pm

12 Responses

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  1. Eine befreundete niederländische Psychotherapeutin in spe hat mir mal erzählt, dass die netten Damen und Herren mit den weißen Kitteln nur behandeln wenn die Symptome ein Problem für den Patienten darstellen – wer sich einfach nur gerne mit Bäumen oder Mülltonnen unterhält hat nichts zu befürchten.

    Übrigens, hat jemand daran gedacht Scientology einzuladen? 🙂

    Elto

    March 7, 2008 at 11:02 am

  2. huhu elto 😉
    das ist natürlich wahr,längst nicht jeder verrückte landet auch in einer psychiatrischen praxis oder geschlossenen abteilung. kriterien zur aufnahme sind in der regel ein hoher leidensdruck, selbst- und/oder fremdgefährdung an gesundheit und leben. die aufnahmepraxis in den berliner fachkrankenhäusern ist eher rigide abweisend.
    ob die solidarität der linken psychiatriekritik bis scientology reicht,weiss ich noch nicht.es würde mich aber nicht überraschen,wenn von den hubbard-fans einige in der k9 auftauchen würden.es bleibt also spannend.

    zuppi

    March 7, 2008 at 5:39 pm

  3. […] seinem blog und die taz in ihrer terminspalte ankündigte und die der blog “raumzeit” im voraus mit skepsis belegte. david wichera, studentischer mitarbeiter im “weglaufhaus“, einem […]

  4. […] Kritische Stimmen gab es schon im Vorfeld, wie hier bei Raumzeit. […]

  5. “Ein Recht auf Psychose wäre wie ein Recht auf Krebs!”

    Wird man bei Krebs eigentlich auch zwangsbehandelt?

    classless

    March 14, 2008 at 12:08 pm

  6. °Wird man bei Krebs eigentlich auch zwangsbehandelt?°
    ein patient kann sich das heilverfahren aussuchen. er kann ins krankenhaus zum onkologen gehen,zum vitaminpabst rennen,an kristallen nuckeln,sich einreden, “krebs gibt es garnicht” oder eben auch nichts tun.spannend wird halt,was aus den jeweiligen entscheidungen gesundheitlich folgt.
    im übrigen insinnuiert das zitat von frau heuser nach meinem verständnis den gleichberechtigten medizinischen krankheitsbegriff sowohl bei einer psychose als auch bei krebs: wer ein recht auf eine krankheit einfordert,tickt demnach nicht ganz richtig.
    da die irrenoffensive aber jeden krankheitswert von psychiatrischen diagnosen bestreitet,ist die forderung nach einem recht auf diese (psychotischen) erkankungen (die es ja garnicht geben soll) in meinem verständnis ein widerspruch in sich selbst.

    zuppi

    March 14, 2008 at 4:48 pm

  7. “Wird man bei Krebs eigentlich auch zwangsbehandelt ?”

    kommt drauf an ob …
    Ich weiche besser auf Dialysepatienten aus, da weiß wovon ich rede.
    Da ist es so, dass aus guter medizinischer Behandlung ganz schnell durch zusätzliche Psychopharmaka ergänzte Zwangsbehandlung werden. Dazu braucht es lediglich einer zusätzlichen psychiatrischen Diagnose.
    Da es höchst selten Dialysepatienten gibt, die psychisch völlig unauffällig sind, ist das Risiko Zwangsbehandelt zu werden ein hohes.

    Ansonsten habe ich erlebt, dass während laufender Dialysen “unruhig und störend wirkende” Patienten ohne langes Federlesen flugs mit der chemischen Keule kaltgestellt werden. Aufklärung maximal im Stil: “sie brauchen das jetzt, dann gehts ihnen besser”

    Bei bis dato psychisch unauffälligen Dialysepatienten allerdings, die, abgesehen von ihrer Dyalysepflichtigkeit vergleichsweise “gesund” sind, würde ich keine Prognose wagen.
    Da dürfte die Entscheidung pro oder kontra Zwangsbehandlung vom Allgemeinzustand, vom Alter und von der Standfestigkeit des Patienten abhängen. Letztlich entscheidet aber wohl auch die tagesaktuellen Laune des Behandlungsteams bzw. des etwaig alarmierten Notarztes.

    ano nymo

    March 18, 2008 at 6:52 am

  8. “schokolade sieht die ganze sache nicht so pessimistisch”
    ich hatte mich vorher nch nie mit dem thema beschäftigt und fand den vortrag eigentlich ziemlich interessant (bis auf erwähnte seltsam-eklige einwürfe). die praxis vom weglaufhaus, so wie sie vorgestellt wurde, klang echt gut, nur werden die leute ihrem eigenen anspruch nicht theapieren zu wollen, weil es ja angeblich nichts therapiebedürftiges gibt (zum glück?) selbst nicht gerecht. so tauchte im vortrag zb. auch der satz auf “wenn sich jemand umbringen will, soll er das doch tun” aber auf nachfrage wurde dann erklärt, dass die praxis doch anders aussieht und sich da noch nie jemand umgebracht hat.

    isabelle

    March 22, 2008 at 3:02 pm

  9. huhu isabelle,
    david hat eine einführung in die theoretischen grundlagen der antipsychiatriebewegungen angekündigt und auch umgesetzt. es freut mich natürlich,wenn du erkenntnisgewinn davon getragen hast.
    ich halte das weglaufhaus – mit all seinen inneren widersprüchen – auch für eine gute ergänzung in der hilfelandschaft. was ich nicht teile, sind die ideologischen grundlagen der antipsychiatrie – manchmal machen leute auch das richtige aus falschen motiven heraus.
    und dass die verbesserung der psychiatrielandschaft nun ausgerechnet auf eine bereicherung durch den antikapitalismus angewiesen sein soll, erschliesst sich mir nicht im geringsten.
    insgesamt gab es nichts neues für mich, ausser die speziellen psychosen von vereinzelten ausgetillten gästen,aber für die kann ja der david nichts.
    komme gut durch die feiertage 😉

    zuppi

    March 22, 2008 at 6:59 pm

  10. […] Psychiatrie-und-die-radikale-Linke […]

  11. […] seinem blog und die taz in ihrer terminspalte ankündigte und die der blog “raumzeit” im voraus mit skepsis belegte. david wichera, studentischer mitarbeiter im “weglaufhaus“, einem […]

  12. Der Vortrag von David Wichera ist zwar schon eine Weile her. Aber das folgende Flugblatt, kürzlich in Berlin verteilt, dürfte auch für Euch interessant sein.

    David Wichera – früher Abspritz-Pfleger in der Psychiatrie, heute Sozialbulle im Weglaufhaus Berlin – ist ein notorischer Geschichtsverfälscher und Verharmloser des ärztlichen Massenmordes an Patienten. Er macht die Nazis groß, damit die Ärzteverbrechen dahinter verschwinden.

    Und damals sei alles viel schlimmer gewesen. Wozu diese Lügen? Damit die heutigen Ärzteverbrechen (EuthaNAZI, Organausschlachtung, Genozid-Genetik, Impf-Völkermord, Iatro-Imperialismus, ärztlich ausgeklügelte Folter, ärztlich gesteuerte und intensivierte Ausbeutung … ) nicht in den Blick kommen und nicht angegriffen werden. Mit diesem Programm tingelt er durch die Lande.

    Merke:
    Verarztend kam der Nazi-Schreck
    
die Welt verfault im Ärztedreck
    
(der alte und der neue Nazismus)

    Warum lenkt er von den Ärzten ab? Warum hetzt er gegen das SPK? Bekommt er Geld dafür und von wem?

    Wer uns, Patientenfront, Sozialistisches Patientenkollektiv, PF/SPK(H), in der gegenwärtigen Situation des urärztlichen Modern-EuthaNAZIsmus auch nur versuchsweise schlecht macht, begeht Massenmord an der Patientenklasse allerorten.

    Patientenfront / Sozialistisches Patientenkollektiv, PF/SPK(H)
    www. spkpfh.de

    4. Juli 2012

    Suzanne

    July 24, 2012 at 8:10 pm


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